DACHER KELTNER: PROFESSOR OPTIMIST
Als Professor für Psychologie an der Universität Berkeley glaubt Dacher Keltner – trotz der momentanen Situation in den USA – an das Gute im Menschen. Der Gründer des Greater Good Science Center beriet Google und Facebook zu Themen wie Emotion und Altruismus, unterstützte Pixar mit seiner Expertise beim oscargekrönten Zeichentrickfilm „Alles steht Kopf“, erforscht das Mitgefühl und fand dabei Zusammenhänge, die für den evolutionären Erfolg der menschlichen Spezies nicht unwesentlich waren. Ein spannendes Gespräch über die US-Wahl, Corona, den Soziopathen Trump, die Zukunft Amerikas – und warum es uns besser geht, wenn wir altruistisch handeln.
CHRISTINA ZAPPELLA-KINDEL | OOOM
Sie erforschen Mitgefühl, Liebe und Schönheit und wie Emotionen unsere moralische Intuition formen. Sind Menschen auf natürliche Weise gut?
(Lacht) Ja, immerhin habe ich mein Buch „Born to be good” genannt. Als ich angefangen habe, Mitgefühl, Dankbarkeit und Vergebung zu erforschen, tauchte eine andere Seite der menschlichen Natur auf – bis hinunter zu unseren Genen – nämlich, dass wir dazu geboren wurden, gut zu sein. Wir haben Neigungen in uns, die uns dabei helfen, mit anderen zu kooperieren, mit ihnen zu teilen und besorgt um sie zu sein, wenn sie leiden, und für sie Dinge zu opfern und ihnen zu helfen. Wir haben egoistische Neigungen in uns und selbstlose Neigungen. Während der letzten 25 Jahre hat man nicht an diese selbstlosen Tendenzen geglaubt, aber die Wissenschaft hat uns etwas anderes gezeigt.
Für Jahrzehnte waren die USA ein Symbol von Freiheit, Demokratie und Hoffnung, eine große Nation, die wir alle bewundert haben. Wie sieht es in den Endzügen der Trump-Ära damit aus?
Ich habe darüber in dem Buch „The Power Paradoxon“ geschrieben und Joseph Nye hat dazu gesagt: Es ist zu schade, dass wir es weiche Macht nennen, wenn es in Wirklichkeit doch moralische Macht ist. Menschen blicken zu den Vereinigten Staaten und denken an John F. Kennedy, an eine große wirtschaftliche Macht, an Martin Luther King, all die kulturelle Macht, Hollywood und Rock‘n‘Roll. Ich denke, Trump hat das zerstört, das hat er wirklich. Es trifft mich sehr, wenn ich zum Beispiel in andere Länder reise und Menschen zu mir sagen: „Mensch, wir sind wirklich in Sorge um euch.“ Innerlich denke ich mir dann: Keine Angst, unsere Wirtschaft ist immer noch riesig, unsere Universitäten sind toll, die Wissenschaft ist großartig – aber leider ist unser moralisches Ansehen sehr gesunken. Ich glaube, dass das eine Lektion war, die wir brauchten.
Bis jetzt haben mehr als 70 Millionen Amerikaner für einen Präsidenten gestimmt, der lügt, Gesetze bricht und die Wahrheit ignoriert. Warum wurde er trotzdem gewählt?
Ein Grund dafür ist, dass 55 bis 56 Prozent der Amerikaner die Bibel als ihre Quelle der Wahrheit heranziehen. Auch die Fundamentalisten wählen Trump. Die Republikaner beanspruchen schon seit Reagan die christlichen Wahlstimmen. Die USA sind ein Land, das auf Sklaverei aufgebaut wurde. In den USA haben wir zwei Millionen Menschen in Gefängnissen und sie sind alle Schwarz. Das ist eine neue Form der Sklaverei. Wir sind ein junges Land und Trump nutzte unsere christliche Ader aus. Was besorgniserregender ist: Dass Trump Radikalisierung vorangetrieben hat und es so eine starke weiße Vorherrschaft in diesem Land gibt. Trump ist ein Rassist und für People of Color ist das die tägliche Lebensrealität.
Wie würden Sie Trumps Verhalten als Psychologe beschreiben? Ist er ein Narzisst?
Oh ja. Kennen Sie die dunkle Triade? Er ist ein Narzisst, ein Soziopath, er kann den Schmerz von anderen nicht wahrnehmen, und er ist ein Machiavellist. Seine Ansicht von Macht ist, alle anderen zum Sturz bringen zu wollen.
Trump ist ein Narzisst, ein Soziopath. Er kann den Schmerz von anderen nicht wahrnehmen, und er ist ein Machiavellist.
Die USA steht vor einer der größten gesellschaftlichen Spaltungen in ihrer Geschichte. Wie schwierig wird es sein, da jetzt voranzukommen?
Zunächst müssen wir uns um den Rassismus kümmern. Wir werden das tun und es wird besser werden. Die Polizei wird reformiert werden und unsere Gefängnisse werden auch anders aussehen. Aber das größte Problem ist die ökonomische Ungleichheit. Deshalb hat Bernie Sanders auch so einen Nerv getroffen. Die Leute denken, sie arbeiten hart und ihr Bankkonto ist trotzdem leer. Wir müssen diese Probleme, die politische Probleme sind, lösen. Wollen wir eine Reichensteuer? Fördern wir öffentliche Bildung mehr? Beides möchte Biden tun. Wir haben Studien, die zeigen, dass ökonomische Ungleichheit Vorurteile bestärkt. Wenn also mehr Ungleichheit herrscht, sind Menschen wütender und auch feindlicher gegenüber Immigranten. Aber wenn wir die Ungleichheiten zwischen Arm und Reich reduzieren könnten, würden auch die weißen Menschen in den ländlichen Gegenden weniger wütend sein. Es würde einen zivilisierteren Umgang geben.
In den USA haben wir zwei Millionen Menschen in Gefängnissen und sie sind alle Schwarz. Das ist eine neue Form der Sklaverei.

Wie können die Vereinigten Staaten aus dieser Situation vereint herauskommen? Kann das Land heilen und wie lange wird das dauern?
Ich glaube definitiv, dass es heilen wird. Ein Teil des Heilens wird sein, wie Donald Trump damit umgehen wird. Seine Abschiedsrede, das wird eine der interessantesten Reden, die je zu hören sein wird. Ich war ein Bernie- Sanders-Unterstützer, aber ich denke, Biden ist jetzt der Richtige für diesen Job. Seine Rhetorik wird über das Vereinen gehen und ich glaube, wir müssen wieder ein Stück leiser werden, als es unter Trump der Fall war. Ich habe viele Studenten, die afroamerikanisch sind oder zum Teil mexikanisch, denen tat es allein schon weh, Trump tagein tagaus zuzuhören. Für sie waren das richtige Angriffe. Das können wir verändern. Ich glaube, wir können den Bruch in unserer Gesellschaft mit Ehrlichkeit heilen.

Wir mussten vor Kurzem einen Terroranschlag eines IS-Sympathisanten in Österreich erleben, der vier Menschen getötet und mehr als 20 verletzt hat – mitten im Herzen von Wien. Er war erst 20 Jahre alt und ist in Österreich geboren und aufgewachsen. Von wissenschaftlicher Perspektive aus: Was bringt Menschen aus unserer Gesellschaft dazu, zu terroristischen Mördern zu werden?
Wir werden geboren und wollen wirkliche Verbindungen mit anderen Menschen eingehen und Teil ihres Lebens sein. Wir wollen schon früh Mitgefühl zeigen. In den USA hat jemand Menschen erschossen, die gerade in eine Kirche gehen wollten. Wir müssen uns fragen, warum? Diese Situationen, wo Fremde fremde Menschen töten, zeigen im Grunde genommen die andere Seite meiner Studien. Wir haben einen historischen Stand von Ungleichheit in der Welt. Wenn ein Mensch am Rande der Gesellschaft sieht, wie es anderen so gut geht, wie andere Unmengen besitzen, wird er wütend werden, oder? Wir dürfen nicht vergessen, dass wir viel Machtmissbrauch haben. Die USA haben unter der Präsidentschaft von George Bush und George W. Bush den Mittleren Osten bombardiert – ohne gerechten Grund. Das war ein illegaler Krieg. Auch unter Obama hatten wir Drohnen, die über diese Länder geflogen sind und Menschen getötet haben. Wenn Menschen mit Ehrgefühl erzogen werden, weil sie Teil einer Gemeinschaft sind und dann sehen sie, wie mächtige Strukturen diese Gemeinschaft angreifen und zerstören – was genau so passiert ist –, werden manche das nicht vergeben und einige werden wütend deshalb werden. Und dann gibt es die neuen Technologien, wie Chatrooms, digitale Verbindungen und Bewegungen, die isolierte Individuen mächtiger machen. Dem müssen wir uns stellen, es ist ein tragischer Teil unseres Lebens.
Sie haben für Facebook an verschiedenen Projekten gearbeitet. Welche Rolle spielen soziale Medien in diesen Situationen?
Bei Facebook habe ich zwischen 2010 und 2016 gearbeitet und damals haben wir eine Menge Werkzeuge zu Mitgefühl in das Design von Facebook eingearbeitet: um Menschen beizubringen zu vergeben, freizulassen und Empathie zu empfinden. Innerhalb dieser Zeit hatten wir Beweise dafür, dass es funktioniert hat. Es hat dabei geholfen, Mobbing zu reduzieren. Sehr viele Streite brechen auf Facebook aus. Ich sehe das leider als eines meiner großen Versäumnisse in meiner Karriere an, dass Facebook die Arbeit dazu eingestellt hat. Ich habe 2016 aufgehört, daran zu arbeiten, und jetzt haben sie keine Werkzeuge, die den Menschen dabei helfen, mit Konflikten umzugehen. Aber Technologie bewirkt trotzdem viel Gutes. Mit Spotify, SoundCloud oder Pinterest können Menschen die Kunst von anderen kostenlos genießen. Wir können dort obskure Kunst finden, oder von Teenagern, die Zeichnungen machen. Wir haben Zugriff zu mehr Wissen als jemals vorher, aber wir müssen auch mit diesen politischen Echokammern lernen umzugehen. Es gibt da eine wirklich spannende Sache, die ich bei Facebook immer schon hervorgehoben habe: Unsere Kultur, wenn wir uns Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen, ist eine andere als online. Wenn jemand im Job mobbt oder belästigt, tun wir etwas gegen dieses Verhalten. Wir schließen die Täter von Dingen aus oder wir reden mit ihnen darüber. Das tun wir auf digitalen Plattformen nicht. Da kann jeder sagen, was er will. Trump kann da sagen, was er will. Es wird jetzt erst damit angefangen, das zu regulieren.
Bei Facebook haben wir Werkzeuge zu Mitgefühl ins Design eingearbeitet, um Menschen beizubringen, Empathie zu empfinden.
In Ihrem Buch „The Power Paradox“ beschreiben Sie, wie Macht die Mechanismen von Mitgefühl ausschaltet. Was passiert da mit uns?
Es ist tiefgreifend. Als wir angefangen haben, über Macht zu forschen – das war schon vor 30 Jahren – wurden Tausende Studien dazu gemacht. Psychologen hatten aber nicht viel über Macht nachgedacht, denn sie dachten, das sei wichtiger für politische oder wirtschaftliche Studien. Aber in menschlichen Beziehungen gibt es sehr viele Macht-Dynamiken. Wie uns feministische Gelehrte schon immer darauf hingewiesen haben: Macht ist alles. Und daran wollten wir forschen: Hat Macht Einfluss auf unser tägliches Leben? Nicht nur auf Kriege und die Geschichtsschreibung oder Geld, sondern beeinflusst sie auch meine Freundschaften oder die Beziehung zu meinem Kind? Die Ergebnisse sind tiefgreifend. Macht bringt uns dazu, die geistigen Verfassungen anderer Menschen schlechter wahrzunehmen. Wir können ihre Emotionen nicht mehr so gut wahrnehmen, wir hören ihre Stimmen weniger deutlich, wir schauen nicht mehr ordentlich in ihre Gesichter, also verlieren wir den Sinn für andere Menschen und die anderen werden nur noch Mittel zu unserer Wunscherfüllung.
Können Menschen aber Macht nicht auch auf eine gute Art nutzen? Zum Beispiel Film- oder Rock-Stars?
Ja, klar kann man Macht für Gutes einsetzen. Greta Thunberg ist eine der mächtigsten Menschen zurzeit und sie ist erst 17. Ein Grund, warum Menschen Macht unterschiedlich einsetzen, ist, dass wir alle Individuen sind. Der Dalai-Lama hat schon früh in seinem Leben Freundlichkeit kultiviert und er benutzt seine Macht für ein größeres Wohl. Ich arbeite sehr viel in Krankenhäusern und Ärzte wollen Leben retten und ihre Macht für Gutes einsetzen. Es gibt also eine Menge Gründe, warum Macht unterschiedlich eingesetzt wird.
Unsere Kultur, wenn wir uns Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen, ist eine andere als online.
Sie führten an der Universität Berkeley eine Studie durch, die nachwies, dass Menschen in teuren Autos weniger bis gar nicht anhielten, wenn andere über die Straße gehen wollten.
Ja, diese Studie sollte die Frage beantworten: Glaube ich, dass Gesetze für mich nicht gelten, wenn ich Privilegien habe? Und wir konnten das belegen mit verschiedenen Studien. Ich lebe in den Vereinigten Staaten und das ist ein junges Land. Wir hatten keine Französische Revolution oder keine britische, keinen Untergang von Staaten. Die wirkliche Korruption passiert in Machtpositionen ganz oben. Ich glaube, die Familie Trump ähnelt ironischerweise dem französischen Hof zu Zeiten von Marie Antoinette. Ich mache mir mehr Sorgen über Privilegien als über Macht. Privilegien in den USA bedeuten, dass du aus der Schule fliegen kannst und jede finanzielle Vereinbarung, die du je gemacht hast, brechen kannst, du kannst ein historisch schlechter Geschäftsmann sein und trotzdem Präsident werden.
Eine der Strukturen in unserem Körper, die besonders geeignet zu sein scheint, um Altruismus zu entwickeln, ist der Vagusnerv, wie Ihr Team an der U.C. Berkeley herausgefunden hat. Können Sie darüber mehr erzählen?
Das ist so fantastisch! Ich habe die menschlichen Emotionen 25 Jahre lang studiert und dabei haben wir eine Menge über den Flucht- oder Kampfmechanismus – flight or fight – gelernt, über Blutdruck, Herzschlag, Cortisol, das Stresshormon, schwitzende Handflächen – das alles ist Emotion. Aber erst als wir Dinge wie Schönheit und Mitgefühl erforscht haben, habe ich fast täglich ein warmes Gefühl in meiner Brust gespürt oder ich hatte Tränen in den Augen. Ich habe mich so ehrfürchtig gefühlt. Der Vagusnerv sitzt im Rückenmark, ist verbunden mit den Muskeln, die das Gesicht bewegen, und im Rachen, er hilft dabei, Menschen anzuschauen, geht unter dem Herzen hindurch, ist mit dem Pulsschlag verbunden, dem Atem, er geht bis in den Bauch, zu den Verdauungsorganen usw. Der Physiologe Stephen Porges hat gesagt, dass er der Säugetiernerv für Liebe und Zuneigung ist. Wir sind dazu geboren, gut zu sein, denn ein Teil unseres Nervensystems hat die Strukturen dazu. Es ist der größte Zusammenschluss von Nerven in unserem menschlichen Nervensystem. Seine Aktivität kann gemessen werden, wenn man sich anschaut, wie Puls und Atmung zusammenarbeiten. Mitgefühl zu empfinden, stimuliert den Vagusnerv, das tut es wirklich. Bist du ein Mensch, der anderen viel gibt, aktivierst du oft den Vagusnerv. Und andere Studien zeigen: Wenn du einen Vagusnerv hast, der aktiv ist und auf Reize gut reagiert, bist du gesünder, du gehst mit Traumata besser um, hast stärkere Beziehungen und ein besseres Immunsystem.

Was kann man in seinem täglichen Leben tun, um den Vagusnerv zu aktivieren?
Offensichtlich ist natürlich, viel Sport zu machen, aber wirklich interessant ist, eine einfache Übung, die ich oft meinen Studenten beibringe: Nehmt einen tiefen Atemzug ein – und aus. Diese simple Übung stärkt den Vagusnerv. Wir wissen auch, dass Liebe und Freundlichkeit zu praktizieren, Gutes zu tun oder Schönheit anzuerkennen den Vagusnerv stärken. Die Menschen merken ja auch, dass sie sich gut fühlen, wenn sie in der Natur spazieren. Auch wenn man Texte vom Dalai-Lama über Mitgefühl liest, trainiert das den Vagusnerv. Freundlichkeit, tiefes Atmen und Ehrfurcht sind eindeutig wissenschaftlich belegte Auslöser dafür, dass sie den Vagusnerv aktivieren, und dann gibt es auch noch andere Dinge, wie alle Arten der Meditation, eine gute Massage oder Umarmung – zurück zu unseren Wurzeln und zur Gemeinschaft zu finden.
Es würde uns zu viel kosten, wenn wir einfach nie wieder einen anderen Menschen berühren dürften.
Zurzeit haben wir in sehr vielen Ländern Lockdowns, aufgrund von Covid-19, und es ist nicht mehr so einfach, Gemeinschaft zu teilen. Können Sie für diese Situation etwas raten?
Ich finde sehr spannend, dass ich in der Minute, als wir in den Lockdown gegangen sind, schon so viele Anrufe von Leuten bekommen habe, die meinten, sie drehen durch, wenn sie keine Menschen mehr berühren dürfen. Ich würde sagen, hört nicht auf, euch zu berühren, Menschen zu umarmen, die euch nahestehen, aber natürlich auf eine der Pandemie angemessene Weise. Wenn wir jetzt gelernt haben, dass das Virus für Kinder nicht gefährlicher als die Grippe ist, sollten wir unsere jungen Kinder wieder mehr umarmen. Wir dürfen unsere Bindungssysteme nicht komplett zerstören, wir müssen intelligente Wege dafür finden, wie wir Menschen noch berühren können. Es würde uns zu viel kosten, wenn wir einfach nie wieder einen anderen Menschen berühren dürften. Das ist auch aus medizinischer Sicht wichtig.
Glauben Sie, Covid-19 ist auch eine Chance für Veränderung?
Das glaube ich. Ich glaube, wenn Menschen Traumata erleben, fragen sie danach, warum ist das passiert? Was haben wir falsch gemacht? Und dann korrigieren sie es. Wir können uns unsere Probleme anschauen und uns fragen, warum so viele Schwarze Menschen sterben, warum es so viele Übergewichtige gibt und anderes. Eine der Hauptursachen, warum Menschen an Corona sterben, ist, dass ihr Körper schon vorher entzündet war. Wir wissen, dass Ehrfurcht, Mitgefühl und Meditation Entzündungen reduzieren können. Ich glaube, mehr und mehr Menschen werden diese Möglichkeiten nutzen.

Was soll Ihre Arbeit am meisten bewirken?
Es gibt etwas, dass mich wirklich stolz und froh machen würde, und das ist, dass meine Arbeit langsam in den Schulen ankommt. So, wie heute über das Nervensystem unterrichtet wird, könnte auch über den Vagusnerv unterrichtet werden. Ein anderer großer Einflussbereich, den ich mir wünsche, ist die Medizin. Viele Menschen, die in den USA sterben, sterben auch wegen Einsamkeit oder wegen Rassismus. Das sind soziale Probleme und wir brauchen soziale Antworten darauf. Man kann diese Probleme nicht mit Medikamenten lösen. Gerade in Zeiten von Covid-19 sollte sich die medizinische Versorgung in den USA für Ehrfurcht, Schönheit und Freundlichkeit öffnen, für Atemübungen, Meditation und Yoga als medizinische Anwendungen. Wenn wir daran arbeiten, sollten wir es auch in die Langzeitpflegeeinrichtungen einbauen. Es gibt sehr viele Menschen, die genau das brauchen – und es ist auch noch günstig.
Hat die Menschheit noch einen langen Entwicklungsweg vor sich? Wie werden wir in hundert Jahren sein?
Ich glaube nicht, dass wir schon fertig sind. Wir haben noch eine Menge zu tun. Steven Pinkers Buch „The Decline of Violence” hat mich sehr inspiriert. Er schreibt darüber, dass die Sklaverei überall verbreitet war und langsam verschwindet, dass Vergewaltigungen sehr verbreitet waren und weniger werden und dass früher täglich gefoltert wurde und das auch weniger wird. Das heißt, wir kämpfen den Kampf des Mitgefühls und in vielen Bereichen gewinnen wir ihn. Während der nächsten hundert Jahre haben wir weiter diesen Kampf des Mitgefühls zu führen, für die Eingesperrten und für die Natur. Das Letztere wird schwieriger sein. Wenn ich ein menschliches Gesicht sehe, ist es leichter, Mitgefühl zu empfinden und Übel zu reduzieren, als wenn es um eine andere Spezies im Amazonas geht und sich für mich die Entscheidung zwischen ihr und einem Flug irgendwohin stellt. Aber ich glaube, dass wir in hundert Jahren auch in diesem Bereich Siege feiern können.
Wir sind dazu geboren, gut zu sein, denn ein Teil unseres Nervensystems hat die Strukturen dazu entwickelt.
Was macht das Leben bedeutungsvoll?
Ich glaube, die Evolution hat uns diese Meisterleidenschaften gegeben: die eine ist die Liebe, eine andere ist Dankbarkeit, um Geschenke des Lebens annehmen zu können, eine weitere ist Barmherzigkeit, um Leiden in der Welt zu mindern, und die vierte ist die Ehrfurcht, mit der man die Geheimnisse des Lebens annehmen und die Dinge, die gut sind, verehren soll – die höheren Wahrheiten, wie Sie es genannt haben. Wenn man diese leben kann – Liebe, Dankbarkeit, Mitgefühl und Ehrfurcht –, wird es einem gut gehen und der Rest erledigt sich von selbst. Man wird bessere Beziehungen haben, eine gute Arbeit finden und gesund bleiben. Das ist eine darwinistische Sichtweise, die Sichtweise des Dalai-Lama und die von David Hume. Es ist Romantizismus. Vertraue auf deine Intuitionen, denn du hast ein paar gute!
Werden Sie manchmal wütend?
Ja! (Lacht) Ich werde oft wütend über ungerechte Privilegien. Unangemessene Privilegien sind das größte Problem der USA und sie töten Menschen. Wir brauchen all diese Leidenschaften, aber nur bis zu einem gewissen Grad.
Wie können wir besser leben und die Dinge positiver wahrnehmen?
Ich arbeite gerade an einem Buch über Ehrfurcht. Das Thema ist sehr spannend. Normalerweise würde ich sagen: Praktizieren Sie Freundlichkeit! Aber Ehrfurcht macht auch sehr viel Gutes mit den Menschen und für unsere Gemeinschaft. Wir brauchen sie und sie ist wirklich das, was gerade wichtig ist in Zeiten der Globalisierung. Ich glaube, die Hauptsache von Ehrfurcht ist es, Geheimnisse anzunehmen. Wir wissen zum Beispiel nicht, was passieren wird, wenn wir sterben. Finden Sie Dinge, die größer sind als Sie selbst, und arbeiten Sie für diese! Ich habe so viel gelernt, als ich die Ehrfurcht studiert habe, deshalb ist das mein Ratschlag.
Während der nächsten hundert Jahre haben wir weiter diesen Kampf des Mitgefühls zu kämpfen, für die Eingesperrten und für die Natur.